Preisträger 2007

Nach Anhörung der unabhängigen Fachjuroren gehen die Kunstpreise zu gleichen Teilen an:

Kunstpreis Literatur je 5.000 €

  • Katja Lange-Müller aus Berlin
  • Thorsten Palzhoff aus Berlin

Kunstpreis Fotografie je 5.000 €

  • Erik Schiemann aus Berlin
  • Fred Hüning aus Berlin

Katja Lange-Müller erhält den Kunstpreis für ihren Roman „Böse Schafe“.
„Sie erzählt mit einem besonderen Gespür für das sinnliche Detail die Geschichte einer unglücklichen Liebe im Westberlin der Vorwendezeit. In einer bildstarken und schnörkellosen Sprache gelingt es ihr, die Unmöglichkeiten der Liebesbeziehung zwischen Soja, einer republikflüchtigen Setzerin aus Ostberlin und Harry, einem HIV-infizierten Junkie, auf drastische, beeindruckende Weise in Szene zu setzen. Auch in diesem Roman vom Glück und vom Unglück einer Begegnung zweier Welten erweist sich Katja Lange-Müller als Meisterin der melancholischen Groteske. Und wie nebenbei erzählt ihr Roman Böse Schafe eine Milieu-Geschichte Westberlins der achtziger Jahre“, so Lutz Seiler in seiner Jurybegründung zur Preisvergabe.

Torsten Palzhoff erhält die Auszeichnung für sein literarisches Debüt, dem Erzählungsband „Tasmon“ zuerkannt. In der Jurybegründung von Sigrid Löffler heißt es:
„Es sind drei lange Erzählungen, Lewkin, Tasmon und Laura, die räumlich, zeitlich und thematisch weit ausgreifen und so vielschichtig wie labyrinthisch angelegt sind; sie kreisen allesamt um die Leerstellen, die von verschwundenen, verschollenen oder verstorbenen Menschen übrig gelassen werden und den Verbliebenen nicht nur Rätsel, sondern auch Verpflichtungen aufgeben. In „Lewkin„ ist es ein literarischer Freundes-Kreis, der sich um ein verschollenes Manuskript des untergetauchten Dichters Obwyjow bemüht. Die Erzählung, die mit einer Danksagung an die Opfer und Leidtragenden der Leningrader Blockade schließt, nimmt das von deutschen Truppen belagerte, ausgehungerte und bitterkalte Leningrad zum Schauplatz und macht aus der aufwendigen Suche nach dem verlorenen Manuskript ein Symbol für den geistigen Widerstand der Eingeschlossenen. Obwyjows rätselhafte Erzählung, die möglicherweise materiell gar nicht existiert, sondern nur im Gedächtnis der Freunde aufbewahrt und weitergegeben wird, entpuppt sich als ein Kassiber der intellektuellen Freiheit und des moralischen Muts in äußerster existenzieller Bedrohung. Vor allem mit dieser Erzählung beweist der junge Autor einen erstaunlich souveränen Umgang mit literarischen Techniken und raffinierten Motiv-Spiegelungen, der als großes Versprechen für die Zukunft gelesen werden kann.“

Erik Schiemann Unter dem Titel „Der Tag kommt “ sind die Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager sein fotografisches Thema. Es werden von Jahr zu Jahr weniger Menschen, die in der Lage sind, von überall her an die Orte des Schreckens zurückzukehren, um ein lebendiges Zeugnis abzulegen und der Tag kommt, an dem das Gedenken vollends auf die nachfolgenden Generationen übergehen wird. Als Dokument der heutigen Situation ist jedes einzelne Foto ein Teil der vorsichtigen Spurenlese und Forschung, die eine Lehre aus der Vergangenheit zu ziehen und weiterzuvermitteln trachtet: nie wieder! Dabei stellt sich im Wissen um die Außerordentlichkeit des Geschehens die Frage nach seiner Darstellbarkeit. Für die Erfahrung einer inneren Bewegung im Gedenken stehen die Portraits in ihrer Abfolge. Die Augen erheben sich vom Boden und tasten sich an Mauern, Wänden und verschlossenen Toren entlang übers Gelände, um in ein lächelndes Gesicht zu blicken.

Fred Hüning Die Bilder aus „einer“ erzählen die Geschichte einer Liebe; der Wunsch eines gemeinsamen Kindes; die ständige Angst der Mutter – aufgrund der Vorgeschichte – dieses Wunschkind erneut zu verlieren; schließlich die 30-stündige schmerzhafte Geburt eines gesunden Kindes. Für diese persönliche „PASSIONSGESCHICHTE “wurden insbesondere Bilder gesucht, die mehrdeutig sind und/oder eine versteckte religiöse Symbolik aufweisen. Das wiederholte Motiv der Tierkadaver am Wegesrand ist Symbol für die eigene Sterblichkeit … moderne „MEMENTO MORI“. Liebe, Sex und Tod, Schönheit und Vergänglichkeit, Lust und Leiden stehen im Zentrum des fotografischen Interesses.

In der Jurybegründung von Sibylle Bergemann, Enno Kaufhold und Wiebke Loeper zu den Fotografie-Kunstpreisträgern heißt es:
Erik Schiemanns in verschiedenen ehemaligen Konzentrationslagern fotografierte Bilder greifen in die deutsche Geschichte zurück, als das Leben von Juden, Homosexuellen, Sintis und Romas, Kommunisten und anderen Minderheiten, die nicht in das Muster der Herrenmenschen passten, massenhaft in Europa ausgelöscht wurde. In seiner schwarz-weißen Serie „Der Tag kommt„ sieht er Überlebenden ins Gesicht, und er findet an den Schreckensorten solche Motive, die metaphernhaft auf das Unbeschreibbare verweisen. „Die Augen erheben sich vom Boden„, schreibt er selbst, „und tasten sich an Mauern, Wänden und verschlossenen Toren entlang übers Gelände, um in ein lächelndes Gesicht zu blicken.„ Ein Hoffnungsschimmer.

Fred Hüning hat ein Essay fotografiert, das von entstehendem Leben handelt, „Einer„ betitelt, will heißen: 9 Monate, 40 Wochen. Eingebettet in assoziative Farbbilder, in denen es um Kreatürliches schlechthin geht, scheinen Freude wie Ängste auf, wird die liebevolle Partnerschaft angedeutet, sehen wir eine Frau in begehrenswerter Nacktheit sowie in indifferenten Zuständen, von denen wir nicht wissen, wie nah diese dem Leben oder dem Tod stehen. Am Ende jedoch erblicken wir das Neugeborene, noch von den Spuren der Geburt gezeichnet. Ambivalente Bilder. Genau das macht ihre visuelle Stärke aus. Denn Leben ist nicht eindimensional, in taxier- und rechenbaren Einheiten. Diese Bilder haben uns angerührt und zugleich fotografisch überzeugt.“